Nachruf
Ariadne trauert um seinen Vereinsgründer und Ehrenvorsitzenden,
Prof. Dr. med. Hans Lauter
Prof. Dr. med. Hans Lauter wurde am 21.11.2022 im 95. Lebensjahr abberufen in die himmlische Ewigkeit, nachdem er sich sein ganzes Leben lang, buchstäblich fast bis zum letzten Atemzug, um psychisch kranke Menschen gesorgt und vor allem auch tatkräftig gekümmert hat.
Er wurde 1928 in Düsseldorf geboren und verbrachte seine Kindheit und Jugend in München und Berlin. Er studierte Medizin in Zürich, Frankfurt/M. und München, wo er auch seine Weiterbildung in der Psychiatrie begann. Ab 1964 war er Oberarzt bei Joachim Ernst Meyer in Göttingen, wo er auch habilitiert wurde. Von 1972 bis 1978 leitete er das Allgemeine Krankenhaus Ochsenzoll in Hamburg ehe er den Ruf auf den Lehrstuhl für Psychiatrie an der Technischen Universität München annahm. Von 1981 bis 1987 war er als Ärztlicher Direktor für das Gesamtklinikum rechts der Isar der TU München verantwortlich. Nach seiner Emeritierung im Jahr 1996 arbeitete er bis ins hohe Alter in privater Praxis.
Prof. Lauter erkannte angesichts der zunehmenden Lebenserwartung in unserem Lande als einer der Ersten die wachsende Bedeutung dementieller Erkrankungen für Gesellschaft und Politik. Vor allem das mangelnde Wissen zur Demenz in der medizinischen Fachwelt empfand er als sehr beunruhigend und deshalb war ihm die Förderung der wissenschaftlichen Forschung auf diesem Gebiet sehr wichtig. Er reagierte 1985 darauf mit der Gründung der ersten Gedächtnis-Sprechstunde auf dem Europäischen Kontinent am Klinikum rechts der Isar. Diese „Memory Clinic“ wurde zu einem vorbildhaften Zentrum für die Diagnose und Behandlung altersassoziierter kognitiver Störungen und zum Modell für viele andere, die zu zahlreichen wissenschaftlichen Karrieren im In- und Ausland führte. Er leitete eine innovative und moderne Sichtweise der Demenzen ein mit der Entwicklung zahlreicher neuer Therapieansätze.
Der Informationsstand der Angehörigen und deren Verständnis für die Demenzerkrankten war zunächst ebenfalls sehr gering. Deshalb gründete er 1986 die Alzheimer Gesellschaft München als erste Demenz-Selbsthilfe-Organisation in Deutschland. Durch seine Initiative schlossen sich die danach entstandenen lokalen Gruppen 1989 zur Deutschen Alzheimer Gesellschaft zusammen. Das war der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Heute zählt die Organisation mehr als 130 Mitgliedsgesellschaften und macht ihren Einfluss bei allen politischen Entscheidungen zum Thema Demenz geltend, unter anderem bei der Gestaltung der nationalen Demenz-Strategie.
Hans Lauters von Respekt und vornehmer Wertschätzung den Patienten gegenüber geprägte Einstellung war auch die Triebfeder für sein sozialpsychiatrisches Engagement mit der bereits 1980 erfolgten Gründung des an die Klinik assoziierten Vereins Ariadne e.V. für Alterskranke und psychisch kranke Menschen. Diesem Verein stand er lange nach seiner Emeritierung noch bis zum Jahre 2002 als Vorstand zur Verfügung. Sollte dieser „Verein für Alterskranke und psychisch kranke Menschen“ doch jene Annehmlichkeiten und Zusatzleistungen in den klinischen Alltag bringen, die von einer auf Diagnostik und Therapie spezialisierten Universitätsklinik nicht ausreichend gewährt werden können. Neben der expliziten Förderung der Kunsttherapie, der bereits 1998 erfolgten Gründung des inklusiven Theaterprojektes „Apropos“ und dem Aufbau therapeutischer Wohngemeinschaften für Menschen mit Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis war vor allem die Realisation der ersten Wohngemeinschaft für Patienten mit dementiellen Erkrankungen im süddeutschen Raum von wegweisender Bedeutung.
Er war hierbei in den ersten Jahren während der Gründerphase regelmäßiger Gast bei den wöchentlichen Teerunden. Durch seinen wohlwollenden Respekt vor und dem liebevoll humorigen Umgangsstil mit den manchmal sehr eigenwilligen Verhaltensbesonderheiten der acht Bewohnerinnen und Bewohner vermittelte er allen dort Tätigen ein idealtypisches Rollenmodell, das diese Wohnform zu einer bundesweit beachteten Vorzeigeeinrichtung werden ließ.
Lebenslang war ihm die Aufarbeitung der unheilvollen NS-Vergangenheit der deutschen Psychiatrie ein wichtiges Herzensanliegen mit dem daraus resultierenden Verantwortungsgefühl, verpflichtende ethische Grundsätze zum Schutze von benachteiligten Menschen und vor allem nicht einwilligungsfähigen Patienten auszuarbeiten und im ärztlich-psychiatrischen Handeln zu verankern.
Getragen von seiner humanistischen Überzeugung, dass Psychiatrie nicht nur eine deskriptiv-diagnostische, sondern auch eine proaktiv-therapeutische Disziplin sein müsse, rückte er entgegen dem damaligen Zeitgeist die EKT-Behandlung wieder in das Zentrum der psychiatrischen Behandlungsoptionen, um auch schwerstkranke Menschen keinem therapeutischen Nihilismus zu überlassen. Aus den gleichen Gründen war er ein überzeugter Befürworter einer konsequenten Rezidivprophylaxe mit Lithium bei bipolaren und gut verträglichen Neuroleptika bei schizophren erkrankten Patienten. Eine positive Weiterentwicklung der Psychopharmakotherapie lag ihm sehr am Herzen; er ließ sich aber die in einen wissenschaftlichen Heilversuch eingeschlossenen Patienten regelmäßig vorstellen, um sicher zu stellen, dass ein erkennbarer Nutzen vorlag, andernfalls bestand er auf einem sofortigen Studienabbruch. Mit dieser Haltung war er für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine unumstößliche moralische Autorität, die den Geist der gesamten Klinik prägte. Die Dichotomie von biologischem und psychosozialem Psychiatrieverständnis war für ihn stets ein „sowohl-als-auch“ mit dem Auftrag, die sich daraus ergebenden Therapieoptionen durch gezielte Forschung und kluges therapeutisches Handeln zum Vorteil der Patienten zu nutzen.
Sein herausragendes Wirken, seine großartige menschliche Haltung und sein therapeutisches Vorbild werden für alle Patientinnen und Patienten, deren Angehörige und vor allem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Ariadne e.V. unvergesslich bleiben.
Josef Bäuml, Prof. Dr. med.
FA für Psychiatrie und Psychiatrie
Vorsitzender von Ariadne e.V.
München, den 12.12.2022